Widerstand auf Kran Nr. 85

Von Lee Yu Kyung, Busan und Seoul 12.11.2011 / Ausland

Mit einer 309-tägigen Besetzung protestierte eine südkoreanische Gewerkschaftsaktivistin gegen Entlassungen – und hatte Erfolg

309 Tage hatte die Südkoreanerin Kim Jin Suk auf einem Kran der Hafenstadt Busan verbracht – aus Protest gegen Entlassungen in der Werft der Hanjin Heavy Industries and Construction (HHIC). Am Donnerstag beendete sie ihre Kranbesetzung.

Kim Jin Suk harrte 309 Tage auf dem Kran Nr. 85 aus, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. (Foto @ Lee Yu Kyung)

»Ihr, Leute, habt mir das Leben gerettet!«, sagte die Gewerkschaftsaktivistin Kim Jin Suk, als sie am Donnerstag – nach 309 Tagen Protest in luftiger Höhe – vom Kran Nr. 85 herunterstieg. Bei Kälte und Hitze, Regen und Wind hatte sie 35 Meter über dem Erdboden ausgeharrt. Und sie hatte ihr Wort gehalten: »Ich werde lebend wieder runterkommen!«

Am winterkalten 6. Januar gegen 3 Uhr früh war die 51-jährige Aktivistin hinaufgeklettert. Einsamer Protest gegen die vom HHIC-Management verfügten Entlassungen der jüngsten Zeit. Vorausgegangen war bereits eine Kündigungswelle, der rund 3000 Gelegenheitsarbeiter von Subunternehmen zum Opfer gefallen waren. Die Gewerkschaft hatte am 10. Dezember vergangenen Jahres zum Streik bei HHIC aufgerufen.

Jeden Morgen: »Entlassung ist Mord«

»Der Kran Nr. 85 ist für uns mit einer traurigen Erinnerung verbunden«, erzählte Jeong Tae Hoon, einer der entlassenen Arbeiter. Acht Jahre zuvor, im Oktober 2003, hatte sich der Gewerkschaftsführer Kim Ju Ik das Leben genommen, als sein 129-tägiger Protest gegen 600 Kündigungen erfolglos geblieben war. Zwei Wochen später hatte sich ein anderer Gewerkschafter in den Tod gestürzt. Kim Jin Suk war sich dessen bewusst: Sie besetzte denselben Kran und verlangte dasselbe: »Nehmt die Kündigungen zurück!«

»Ich habe eine einzige Forderung: dass die Entlassungen rückgängig gemacht werden. Sobald diese Forderung erfüllt ist, komme ich wieder runter«, hatte Kim Jin Suk in einem nd-Interview per Telefon versichert.

Am Donnerstag stimmten die neu gewählte Gewerkschaftsführung und das HHIC-Management überraschend dem Vermittlungsvorschlag eines Komitees der Nationalversammlung zu. Er sieht vor, dass die 94 zuletzt Entlassenen binnen Jahresfrist wieder eingestellt werden. Zudem erhalten sie eine Einmalzahlung von umgerechnet 13 000 Euro.

Kim Jin Suk selbst, die erste Schweißerin Südkoreas, war 1986 von der Chosun-Schiffbaugesellschaft – einer HHIC-Vorgängerin – wegen Ungehorsams gegenüber Vorgesetzten gefeuert worden. Sie spielte eine Schlüsselrolle, als 1987 das Monopol der vom Unternehmen dominierten Scheingewerkschaft gebrochen wurde. Anders als die meisten Kollegen – auch die gleichzeitig mit ihr gefeuerten – wurde sie nie wieder eingestellt.

Kim griff nicht nur das Management an, sondern auch das Gewerkschaftskomitee, das am 27. Juni eine Vereinbarung mit der Unternehmensführung eingegangen war und den monatelangen Streik für beendet erklärt hatte. Das Abkommen wurde von der Koreanischen Föderation der Gewerkschaften (KCTU) für »ungültig« erklärt, weil es wesentliche gewerkschaftliche Grundsätze verletzte, wonach die Bedingungen für Kündigungen genau festgelegt werden müssen. Eben das war eines der wichtigsten Anliegen der Streikenden gewesen.

Noch am Tag der Unterzeichnung dieser betrügerischen Vereinbarung wurden die Streikenden von Schlägern privater Sicherheitsdienste vom Unternehmensgelände gezerrt. Dutzende Arbeiter kletterten jedoch eilig auf halbe Höhe des Krans Nr. 85 und ketteten sich selbst an das Gestänge. Bis zu dem dramatischen Abkommen vom Donnerstag hatten drei der Arbeiter die mittlere Plattform besetzt, um Kim Jin Suk auf dem Kran zu verteidigen.

»Wir wollen unsere Arbeit wieder haben«, forderten die Entlassenen vor dem Werkstor (Foto @ Lee Yu Kyung)

Andere streikende Entlassene, deren Zahl im Laufe der Zeit auf ein paar Dutzend zusammenschmolz, hielten die Kampagne über Monate Tag und Nacht aufrecht. Jeden Morgen versammelten sie sich vor dem HHIC-Tor und ließen ihren Schlachtruf ertönen: »Entlassung ist Mord!« – in Südkorea eine bekannte Parole, die widerspiegelt, dass die Arbeitsplatzsicherheit systematisch aufgeweicht wurde.

»Ich kannte nie irgendwelche Arbeiter- oder gar Streikrechte, offenbarte die 45-jährige Mun Suk, eine von zwei entlassenen Frauen. Ihr Mann sei Gelegenheitsarbeiter und sehe sich geradezu regelmäßig mit Entlassungen konfrontiert.

Ein anderer Streikender, der 36-jährige Park Moon Sik, berichtete, sein Lohn sei in den ersten Jahren wesentlich geringer gewesen, als man annehmen sollte. Denn immerhin gehört HHIC zu den »Chaebols«, wie die großen, in Familienbesitz befindlichen Geschäftskonglomerate Südkoreas genannt werden. Er habe viele Jahre lang weniger als umgerechnet 650 Euro verdient, womit man hierzulande kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. »Aber unser Lohn wurde um rund 40 Prozent erhöht – seit sich die beiden Kollegen 2003 das Leben genommen haben«, gestand Park.

HHIC – Chaebol mit schlechtem Ruf

HHIC ist berüchtigt für Niedriglöhne, eine wachsende Zahl von Gelegenheitsarbeitern und lausige Arbeitsbedingungen. Auch und vor allem das Kantinenessen gibt immer wieder Anlass zu Klagen. Frau Kim hatte darüber in einem Buch geschrieben: »In den 80er Jahren schluckten wir den schwarzen, mit gekochter Gerste gefüllten und mit ungenießbar stinkendem Industriewasser vermischten Mittagsfraß an Orten, wo Ratten herumliefen.«

Ähnlich scheint es jetzt in der Hanjin-Niederlassung auf den Philippinen zu sein. Auf dem Gelände der früheren US-amerikanischen Marinebasis Subic Bay, jetzt Subic-Freihafenzone genannt, hat das Unternehmen 1,3 Milliarden Dollar investiert, denn die philipppinische bot nicht nur einen großzügigen Pachtvertrag für 50 Jahre, sondern auch Steuervorteile. Der Betrieb in Subic ist zwar angeblich die viertgrößte Schiffbaueinrichtung der Welt, doch die Beschäftigten – sämtlich Gelegenheitsarbeiter, von Subunternehmen angeheuert – werden mit schäbigen Mahlzeiten abgespeist. Seit der Inbetriebnahme sind bereits mehr als 30 Arbeiter wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen ums Leben gekommen.

»Man kann die Hanjin-Querelen in Korea nicht erklären, ohne auf die auf den Philippinen zu schauen«, sagt Professor Hur Min Young, ein Fachmann für die Schiffbauindustrie. »Wegen dieser Investition im Ausland ist Hanjin nämlich in Schwierigkeiten geraten. Die Gesellschaft muss jährlich rund 180 Millionen US-Dollar an Zinsen für den Kredit zahlen, den sie für die Investition in Subic aufgenommen hat.«

Außerdem hat die Gesellschaft rund 490 Millionen Dollar Strafe wegen Erbschaftsvergehen begleichen müssen. »Das ist ein grundsätzliches Problem der Chaebol«, erklärt Professor Hur, »Deren Art der Geschäftsführung wurde nie in Frage gestellt, auch wenn sie Misswirtschaft betrieben haben. Stattdessen bezahlen die Arbeiter den Preis.« Hur bezeichnet das als »imperiales Management«.

Zusammenstöße auf den Straßen von Busan

Da sie die Verwundbarkeit des unternehmerfreundlichen Regimes offenbarte, das Südkorea zu Asiens viertgrößter Wirtschaftsmacht werden ließ, rief Kims »luftiger Protest« in verschiedenen Gesellschaftsschichten unterschiedliche Reaktionen hervor. Auch unter Studenten, deren Studiengebühren in die Höhe geschossen sind. »Ich war tief bewegt von Kims Buch«, gesteht der 24-jährige Goh Myung Woo, der an der Soe-Gang-Universität studiert. Das Buch trägt den Titel »Der Salzblumenbaum«. Goh sagt: »Es beschreibt auch unser Problem. Wir werden dieselben Konsequenzen zu tragen haben, wenn wir nicht kämpfen.«

Foto @ Lee Yu Kyung

Als die Polizei gar Wasserwerfer gegen die »Hoffnungsfahrer« auffuhr, waren es Behinderte, die sich mit ihren Rollstühlen in die erste Reihe der Demonstranten stellten und sie schützten. (Foto @ Lee Yu Kyung)

Goh war Teilnehmer der 5. Tour der »Busse der Hoffnung« zur Unterstützung Kim Jin Suks und der HHIC-Arbeiter. Die Kampagne war von einem Dichter angeregt worden. Seit der ersten Tour Anfang Juni reisten Tausende Bürger aus allen Teilen des Landes in »Bussen der Hoffnung« nach Busan, um ihre Solidarität mit den Arbeitern zu demonstrieren.

Zugleich wurden aber auch andere Demonstrationen organisiert, von rechten Gruppen und Veteranen des Koreakrieges. Sie schimpften über die »Busse der Verzweiflung« und erklärten ihnen den Krieg.

»Wir sind hier, um solche Raten wie Kim Jin Suk zu vertreiben, die da hochklettert, um auf anderer Leute Eigentum zu thronen«, wetterte ein führendes Mitglied der »Elternvereinigung«, der aktivsten Gruppe auf der Straße, seit das amtierende konservative Regime die Macht ergriffen hat. Sie nennen die Busreisenden einfach »Kommunisten«.

Als die Polizei gar Wasserwerfer gegen die »Hoffnungsfahrer« auffuhr, waren es Behinderte, die sich mit ihren Rollstühlen in die erste Reihe der Demonstranten stellten und sie schützten.

Mitte Oktober aber wurde eine neue Gewerkschaftsführung bei HHIC gewählt. »Der glücklichste der vergangenen 282 Tage«, twitterte Kim Jin Suk an jenem Tag, denn die neue Führungsriege wurde von der Vereinigung der entlassenen Arbeiter unterstützt.

»Wir haben diese Wahl trotz heftiger Störmanöver des Managements gewonnen«, erklärte Cha Hae Do, der neue Gewerkschaftsvorsitzende. »Die einfachen Bürger mit ihren Hoffnungsbussen haben uns angespornt und unseren Kampf immer wieder belebt. Die Medien hatten uns gar nicht beachtet – bis eben diese Busaktion initiiert wurde«, fügte er hinzu.

Und es war Kim Jin Suk, die diese Hoffnungsbusse mit ihrer Aktion ins Leben gerufen hat. Ihr einsamer Protest hoch oben hatte die Massen am Boden berührt und Verzweiflung in Hoffnung umschlagen lassen. Jetzt hat sie selbst endlich wieder Bodenkontakt.

Doch könnte der Protest für Kim noch Folgen haben: Die Polizei kündigte an, dass die Aktivistin nach einer ärztlichen Untersuchung wegen der Behinderung des Arbeitsbetriebs und Hausfriedensbruchs festgenommen werde.

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